An mindestens 82 Stellen (!) enthält die DS-GVO für jeden Verantwortlichen die Pflicht, komplizierte Abwägungsentscheidungen zu treffen [ausführlich Kacheln Ae]. So gibt es in der DSGVO:
3 Fairnessprüfungen
8 Interessenabwägungen
2 Kompatibilitätsprüfungen
11 Geeignetheitsprüfungen
30 Erforderlichkeitsprüfungen
12 Angemessenheitsprüfungen
3 Verhältnismäßigkeitsprüfungen
13 Risikoprüfungen
Problematisch an der Vielzahl dieser Abwägungsentscheidungen ist, dass sie jeden Datenverarbeiter gleichermaßen treffen. Nach dem "one size fits all"-Ansatz der DS-GVO [Kachel K.02] sind insbesondere nicht nur öffentliche Stellen, sondern auch Private der Pflicht zur Vornahme dieser Abwägungsentscheidungen unterworfen. Viele der Abwägungsentscheidungen der DS-GVO haben ihren Ursprung aber im Staat-Bürger-Verhältnis [Kachel Ae.01]. Das heißt, ursprünglich war nur der Staat gezwungen, die Verhältnismäßigkeit seiner Eingriffe in Grundrechte des Bürgers vorab zu überprüfen. Nach der DS-GVO müssen juristische Personen des Privatrechts, aber auch natürliche Personen ähnliche Abwägungsentscheidungen vornehmen, wie sie ansonsten nur der Staat zu treffen hat.
Ein weiteres Problem der zahlreichen Abwägungsentscheidungen ist, dass die Schutzgüter der DS-GVO nicht klar bestimmt sind [Kachel K.06]. Da bei den Abwägungsentscheidungen die Beeinträchtigung eines Schutzgutes der DS-GVO gegen die Rechte und Freiheiten des Datenverarbeiters abzuwägen ist, ist für den Verantwortlichen oft unklar, welche Beeinträchtigungen er alle in die Abwägung einzustellen hat. Es fehlt somit am Abwägungsmaßstab.
Ein weiteres Problem ist das Fehlen eines kohärenten Schrankenkonzepts [Kachel K.07]. Für den Verantwortlichen streiten zwar oft Grundrechte [Kachel VD.01]. Welches Gewicht diese in der jeweiligen Abwägung haben, gibt die DS-GVO aber nicht vor. Es fehlt somit auch insofern am Abwägungsmaßstab (zu den sonstigen Abwägungsmaßstäben der DS-GVO siehe Kacheln Am).
Darüber hinaus ist fraglich, ob und inwieweit für Bürgerinnen und Bürger bei der Vornahme der Abwägungsentscheidungen dieselben oder weniger strenge Maßstäbe als für öffentliche Stellen gelten. Abwägungsentscheidungen sind im Verwaltungs- und Verfassungsrecht klar durchstrukturiert. Dieselben Anforderungen wird man an juristische Laien nicht stellen können („Parlallelwertung in der Laiensphäre“).
Fraglich ist auch, ob und inwieweit für Private bei der Vornahme der Abwägungsentscheidungen dieselben Maßstäbe gelten oder ob es nicht Abstufungen zwischen kleinen, mittleren und großen Unternehmen und zwischen natürlichen Personen, Vereinen und Unternehmen geben muss.